Facettival: Es war schön, laut und bunt

Facettenwerk feierte sein 50-jähriges Bestehen mit allen Beschäftigten und vielen Gästen

„Es geht darum, jeden Menschen so zu sehen, wie er ist. Dann weiß man, was das Gegenüber braucht, um zu wachsen.“ Das ist das Fazit von Waltraud Seitz nach 40 Jahren Inklusionsarbeit. Die heutige Gruppenleiterin in der Werkstatt Pfälzer Straße kam 1983 als pädagogische Fachkraft in den Bereich Tagesförderung. Aber rasch zog es sie in die Werkstatt, „bis dahin ein Reich der Handwerker“. Waltraud Seitz geht Ende des Jahres in den Ruhestand und sprach anlässlich der Feier zum 50-jährigen Bestehen des Vereins für Behindertenhilfe Wiesbaden und Rheingau-Taunus-Kreis, das am Donnerstag, 21. September, im Kulturzentrum Schlachthof gefeiert wurde. Eingeladen waren alle Mitarbeitenden mit und ohne Behinderung, außerdem geladene Gäste aus Politik, Verwaltung, Partnerunternehmen sowie Förderer und andere Träger gelebter Teilhabe.

Es war ein bunter, lebendiger und bewegter Geburtstag mit lauten und leiseren Tönen, bei denen die Menschen, für die der Verein 1973 gegründet wurde, im Mittelpunkt standen. Menschen wie Hanna Maria Bienefeld, seit zehn Jahren Teil des Facettenwerks, wie der Markenname der ehemaligen Werkstätten für Behinderte seit 2019 lautet. Sie wünscht sich, dass alle in der Werkstatt nett und freundschaftlich miteinander umgehen, keiner lästert oder schimpft. Und dass immer genug Arbeit da ist.

Und weil Arbeit eine maßgebliche Facette von gesellschaftlicher Teilhabe ist, wurde 1973 der Gemeinnützige Verein für Behindertenhilfe gegründet. Aufsichtsratsmitglied Dieter Kirschhoch erinnerte daran, dass es leitende Mitarbeiter der Stadt Wiesbaden waren, die den Verein aus der Taufe hoben, mit dem Ziel angepasste Arbeitsorte für Menschen mit (geistiger) Beeinträchtigung zu schaffen. Als die erste Betriebsstätte in der Hagenauer Straße 1979 in Betrieb ging, waren die 180 Plätze bereits belegt und Erweiterung ein Thema. Heute gibt es fünf Standorte, darunter drei im Rheingau-Taunus-Kreis. Die Entwicklung über die Stadtgrenzen hinaus nach Breithardt, Oestrich-Winkel und Aarbergen sollte das wohnortnahe Arbeiten ermöglichen. Komplementäre Angebote durch den Auf- und Ausbau von Tagesförderstätten ergänzten bald die Werkstattangebote. 2004 kam die ehemalige Stadtgärtnerei im Aukammtal, die Orangerie, hinzu. „Wir stehen heute vor einem modernen, leistungsfähigen und für die Zukunft gut positionierten Sozialunternehmen, dessen originäre Aufgabe es ist, Menschen mit geistiger Behinderung so zu fördern, dass sie ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben in der Gemeinschaft führen können,“ so Kirschhoch.

Dr. Patricia Becher, Sozialdezernentin der Stadt Wiesbaden, überreichte Vorstand Dr. Simeon Ries die Stadtplakette in Bronze. „Wir sehen Sie mit Ihrer Arbeit, die sie in und für Wiesbaden leisten“, sagte Becher und wünschte den Geburtstagskindern Unterstützung, Engagement und Durchhaltevermögen, um weiter dynamisch zu wachsen.

Damit war die Brücke von gestern zu heute und morgen geschlagen. Wie ein Sichtzeichen steht dafür eine Säule, die am Standort der ersten Werkstatt tonnenschwer aus dem Boden ragt: Der Offenbacher Künstler Jue Fahlbusch hat das Kunstwerk gemeinsam mit Beschäftigten aller Werkstatt-Standorte geschaffen. Es setzt sich aus über 170 Tonplatten zusammen, auf denen jeder Beteiligte einzigartige Spuren hinterließ.

An dieser Säule kann kaum jemand vorbeisehen, der die Hagenauer Straße passiert. Sie markiert den Weg in Richtung Zukunft. Denn 50 Jahre sind schon eine ganze Menge, aber eben auch nur ein halbes Hundert auf dem Weg zu einem großen starken Baum. Dazu passte das Gedicht von Eugen Roth, mit dem Vorstand Dr. Simeon Ries die Gäste in den informellen Teil mit viel Musik, Trommeln und leckerem Essen entließ:

„Zu fällen einen schönen Baum,
braucht’s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
Braucht er, bedenkt es, ein Jahrhundert!“

Achtung: Ohrwurm

Zum 50-jährigen Bestehen des Vereins für Behindertenhilfe Wiesbaden und Rheingau-Taunus-Kreis wurde ein eigener Jubiläums-Song einstudiert, der echte Ohrwurm-Qualitäten hat. Hören Sie gerne mal rein.

Facettensong

Impressionen: